Komm, lass uns gehen.

10. März 2023

Ein Augenblick ist manchmal mehr, als Zeit, die uns durch die Finger läuft. Er ist eine Möglichkeit, innezuhalten und dem Leben eine neue Wendung zu geben. Achtsamkeit im Gehen, also jedes Mal, wenn wir uns den Vorgang des Gehens bewusst machen, verwandelt einen unbewusst absolvierten Bewegungsablauf in ein intensives und bereicherndes Tun.

Tägliches Gehen bietet Zeit und den Raum, sich wieder mit der natürlichen Welt zu verbinden, Gedanken zu verarbeiten und das Wohlbefinden zu verbessern. Kreativität darf wieder frei sein und Gehen ist auch das Navigationstool, das uns hilft, zu erkennen, wer wir sind, jenseits von Prägungen, Titeln, Materiellem und Stempeln, die wir im Laufe unseres Lebens bekommen haben, und zeigt uns wohin wir wollen.

Ich möchte eine kraftvolle Praxis auf die Beine stellen, die uns wieder erdet, die Aufmerksamkeit in den Körper bringt, das Qi wieder zum Fließen und damit uns eine bessere Lebensqualität bringt.

Komm, lass uns gehen.

Einen Fuß vor den anderen zu stellen ist die einfachste Möglichkeit der Transformation.

Inspiriert vom Buch „Do Walk: Navigate Earth, Mind and Body. Step by Step.” Von Libby Delana, die eines Tages im Jahr 2011 begann zu gehen und dies jeden Tag aufs Neue wiederholte, möchte ich einladen, die Schritte zu setzen. Einen Schritt nach dem anderen. Jeden Tag neu.

Wie gelingt es uns die tägliche Routine in den Alltag einzubinden?

-          Motivation finden

-          Den ersten Schritt machen.

-          Die neue Gewohnheit in den Alltag integrieren.

-          Einfach ohne Selbstkritik gehen und Ausreden keine Chance geben.

-          Wie kann ich mir selbst helfen, regelmäßig zu gehen?

-          Kann Gehen ein neues Ritual in deinem Leben werden?

-          Lade andere ein, dich zu begleiten.

-          Welche andere vielleicht weniger wichtige tägliche Routine darfst du aufgeben um Zeit zum Gehen zu finden?

-          Zeichne dein Gehen auf. Notizen helfen dich daran zu erinnern, wie gut es dir tut.

-          Merke dir deine Empfindungen wenn es trotz Anstrengung Freude gemacht hat.

-          Realisiere, dass die Überwindung letztendlich gezeigt hat, dass alles im Vorfeld, Ausreden oder Dinge, die vom Gehen abhalten, eigentlich entbehrlich sind.

Die Welt offenbart sich denjenigen, die zu Fuß gehen.
— Werner Herzog

Der Weg ist das Ziel oder wie ich es sehe ist das ziel durch den weg eigentlich völlig uninteressant.

Nach einer Epilepsie-Diagnose ist Torbjørn Ekelund nur noch zu Fuß unterwegs. Was ihn anfangs frustriert, wird für ihn bald zur Befreiung. Denn mit der Entschleunigung offenbart sich ihm die Welt auf eine ganz neue Art und Weise. Mal wandert er barfuß durch Waldbäche, mal läuft er mit geschlossenen Augen durch die Stadt. Und mit jedem Schritt wächst nicht nur seine Begeisterung für das bewusste Gehen, sondern auch das Interesse daran, wie Tiere und Menschen sich seit jeher durch die Landschaft bewegen: von fossilen Spuren früher Lebewesen bis hin zu Wanderungen romantischer Dichter.

Sein Buch Gehen: Eine Wiederentdeckung | Vom Laufen, Wandern und Flanieren – eine Liebeserklärung an die achtsamste Art der Fortbewegung”, das sich mit Hingabe auf unsere Wurzeln besinnt und dazu einlädt, wieder öfter hinauszugehen und unseren Wegen mehr Beachtung zu schenken, ist lesenswert und eine wahre Inspirationsquelle.

Ekelund wandert mal schnell und mal langsam, in dicken Stiefeln, luftigen Joggingschuhen oder barfuß. Er läuft durch Waldbäche und auf malerischen Küstenpfaden, über warme Felsen und durch Blaubeergestrüpp. Und mal spaziert er mit geschlossenen Augen durch die Stadt. Mit jedem Schritt wächst nicht nur seine Lust, einfach weiterzugehen, sondern auch das Interesse daran, wie Tiere und Menschen sich seit jeher durch die Landschaft bewegen.

In seinem Buch erklärt er, wie unsere Wege überhaupt entstehen und was sie mit Migration und Bewegung, Orientierung und Ortssinn zu tun haben. Er erzählt, weshalb wir beim Gehen besser nachdenken können als im Sitzen. Und wie uns diese urtümliche Art der Fortbewegung wieder zu mehr Achtsamkeit führt.
Voller Hingabe besinnt er sich dabei auf unsere Wurzeln und lädt dazu ein, unseren Wegen wieder mehr Beachtung zu schenken.

 

Wie wir in unserem Alltag, mit häufiger Doppelbelastung durch Beruf und Kinder, mit dem Stresspegel der heutigen Arbeitswelt und mit der Sehnsucht nach Entspannung täglich so leben können, dass es uns gesundheitlich gut geht, erklärt Dr. Georg Weidinger in seinem Buch “Gaufen - Bewegung für jeden Tag” und bringt es auf den Punkt: tägliche Bewegung, bessere Ernährung, Stressabbau und Lebensfreude. Der Arzt zeigt in diesem Buch aus der Sicht der Chinesischen und der westlichen Medizin auf, wie wichtig tägliche Routine, und hier vor allem tägliche Bewegung ist. Nur wenn wir konsequent Tag für Tag unsere Gesundheit fördern, wird dies selbstverständlicher Teil von uns. Aber wie ist es zeitlich umsetzbar? Zum Beispiel, indem wir unseren Arbeitsweg zum Bewegungsprogramm machen. Und wenn wir das alles noch mit der richtigen Technik und mit der richtigen Einstellung machen, dann reduziert sich der Stress und die Lebensfreude kommt von selbst. Gaufen beschreibt eine entspannte Bewegungsform irgendwo zwischen Gehen und Laufen. Mit viel Humor nimmt uns Georg Weidinger unsere Ausreden weg und zeigt, wie die tägliche Bewegung Spaß machen kann.

Wie wichtig die Einstellung bei der ganzen Sache ist, durfte ich während einer Schneeschuhwanderung erleben. Wenn ich sage “Ich will nicht mehr.” orientiert sich mein Körper automatisch an dieser meist vom Kopf gesteuerten Aussage. Ich bleibe stehen. Ich gehe nicht mehr weiter. Ich will nicht mehr. Es geht steil bergauf, die Voraussetzungen für die Wanderung sind zwar mit Sonnenschein und warmen Temperaturen ideal, aber es fehlt in dieser Höhe der Schnee. Somit müssen wir mehr Höhenmeter überwinden und ich meine, “unter anderen Voraussetzungen” mitgegangen zu sein. Sofern mein Körper nicht mit einer Pause, einer Jause oder ein paar Schlücken Tee wieder kraftvoller wird, könnte man meinen, ja, es ist der Zeitpunkt erreicht, aufzugeben.

Ich gebe meinem Körper die Chance kurz zu regenerieren. Spielt allerdings der Geist in einem anderen Film die Hauptrolle, finden beide nicht zur gleichen Basis und ich bleibe stehen. “Ich will nicht mehr!”
Motiviere ich meinen Geist aber mit dem Ansatz dass doch die Natur so viel Schönes bietet, die Gruppe Rückhalt gibt oder doch irgendwann der Schnee unter meinen Schneeschuhen das Gefühl wieder verbessert, ist es möglich weiter zu gehen. Am Ende des Tages spürt sich die körperliche Anstrengung immer gut an und beflügelt letztendlich den Geist mit der Tatsache, dass Überwindung (bitte nicht verwechseln mit Übergehen körperlicher Grenzen) den Horizont sowohl auf körperlicher, als auch geistiger und seelischer Ebene erweitert.
Natürlich steht es aber jedem Menschen zu einfach “stehen zu bleiben”.

Dr. Weidinger geht in seinem Buch auch auf diverse Ausreden ein.
- aber ich schwitze so bei Bewegung…
- mir verrinnt die Schminke beim Gaufen…
- im Winter ist es mir einfach zu kalt…
- was sagen die anderen…
- meine Frisur wird zerstört…

Ich beobachte sehr oft, dass die Atmung ein großes Thema ist. Sie zeigt uns genau, ob wir uns im Moment anstrengen oder nicht. Die Nasenatmung ist im Vergleich zur Atmung durch den Mund zu empfehlen. Dr. Weidinger’s aus den Begriffen “Laufen” und “Gehen” entwickelter Zugang zur täglichen Bewegung “Gaufen” ist ein Ansatz für die tägliche Bewegung, die ich versuche nebst anstrengenderen Touren täglich zu praktizieren. Dabei entsteht für mich eine Art Stille, in der ich der Welt zuhören kann und selektiere, was will ich hören und wie grenze ich mich doch von der Lautstärke des Alltags gut ab. Ein neues Ritual ist entstanden und hilft mir mich zentrierter und achtsamer zu fühlen. Nicht immer mühelos aber dennoch konsequent gehe ich den Weg in die Erhaltung und Wiedererlangung der Gesundheit.

Alleine oder in der Gemeinschaft, langsam, in Stille, jeden Tag, mit kleinen und größeren Schritten, den Kopf zwar mit, aber langsam wandernd in den Körper, die Seele im Durchlüftungsmodus und alles mit einem inneren Lächeln versehen, kann Bewegung, Gehen oder Gaufen eine Möglichkeit sein, die Gesundheit zu erhalten.

Komm mit. Lass uns gehen.

Gabriella Erber