Kostbare Stille

Wenn der Herbst seine Nebelschleier über das Land wirft, jeder Schritt vom regennassen Laub gedämpft wird und die Seele langsam aus der aktiven Zeit Schritte in den Rückzug wählt, dann dürfen wir, sofern wir es zulassen einen ganz besonderen Gast begrüßen.
Die Stille.

Still sein, für einen Moment das Nachdenken auf die Seite legen, nicht ablenken lassen, nichts erledigen müssen, keinem Impuls folgen, sondern einfach nur sein.
Wie kostbar und wichtig das vor allem in der aktuellen Zeit ist und wie sehr wir uns danach sehnen.

Am liebsten spüre ich die Stille in der Natur, bei einem Spaziergang im Morgengrauen, wenn alles noch schläft und die Naturgeräusche sich mit meinem Herzschlag mischen und die Stille eingeladen wird Platz zu nehmen. Seltene Augenblicke die auch der Intuition die Türe öffnen und in der Tiefe gespeicherte Gefühle an die Oberfläche bringen.
Was spürt sich nicht gut an und braucht ein Hinschauen?
Womit fühle ich mich nicht wohl und es braucht noch ein Handeln?
Was möchte ich noch bereinigen um in die Ruhe des Winters gehen zu können?

Fragen, die in der Stille eher eine Antwort bekommen, als in der Hektik des Alltags.

Auch wenn wir pandemiebedingt leider eher in die Isolation geschickt werden, hat uns das Laute und Dichte auch dieses Jahr nicht ausgelassen. Ich hatte eher das Gefühl, es wäre noch gedrängter. Noch mehr Veranstaltungen, Feiern, Treffen und einer möchte den anderen im Einladen überholen. Das fälschliche Sicherheitsgefühl hat die Zeiten in denen es möglich war mit Unternehmungen geflutet und uns mit der Frage zurück gelassen: Wo ist nur das Jahr geblieben?

Menschen sehnen sich nach seltenen Augenblicken der Ruhe und Stille.
Bereits in den fernöstlichen Lehren der Bhagavad Gita, einer der wichtigsten Schriften des Hinduismus steht geschrieben: “Wer Herr seiner selbst ist, in Stille, der ist sich seines inneren Lichts bewusst…”

Die Kraft innezuhalten und uns selbst zu finden führt uns in das Gegenwärtige. Für mich bedeutet das absolute Präsenz. Weder die Vergangenheit noch die Zukunft spielen eine Rolle. Ich bin im Jetzt. Gerade im Heute mit den aktuellen Verunsicherungen und Sorgen, der fehlenden Perspektive brauchen wir die Stärkung und den Fokus im Gegenwärtigen um Kraft für eine mögliche sorgenvolle Zukunft zu haben.

Im Sommer des heurigen Sommers durfte ich mir in Ameno im wunderschönen Piemont eine berührende Ausstellung des Fotografen Rommy Codecasa ansehen. “Il Silenzio”
Auf der Rückseite des Ausstellungskatalogs finden sich berührende Zeilen von Edgar Lee Masters:
”Ich habe die Stille der Sterne und des Meeres gekannt, die Stille der Wälder, bevor der Frühlingswind aufsteigt. Die Stille einer großen Liebe, die Stille eines tiefen Seelenfriedens, die Stille zwischen Vater und Sohn und die Stille des Alten, beladen mit Weisheit.”

Die wunderschönen Bilder von Rommy Codecasa, aufgenommen während unzähliger weiter Spaziergänge und Wanderungen im 1. Lockdown, als die Welt still gestanden ist, zeigen Aufnahmen der Region von Ameno, Mottarone, meinem Lieblingssee Lago D’Orta und Sternenkarten mit Beschreibung. Wenn es mir nicht gelingt “in die Stille zu gehen” so nehme ich mir das kleine Buch, die Aufforderung auf der Hülle “Silence please” und atme einfach mit Hilfe der Aufnahmen von Rommy ein und wieder aus.

Fotografie di Rommy Codecasa

Meditation, Achtsamkeitspraxis oder einfach nur atmen, es gibt mittlerweile eine Fülle an Auswahl um für sich das Richtige zu finden in die Stille zu gehen.

Das Kardinal König Haus im 13. Bezirk bietet “Stille in Wien”.
Ein Ort - ganz bewusst mitten in der Stadt, in der Großstadt Wien, um sich für eine kürzere oder längere Zeit zurück zu ziehen, sich wieder zu sammeln, sich neu zu orientieren.
Ein Ort, der Raum, Anleitung und Begleitung bietet, mehr zu sich, mehr in Beziehung zu anderen Menschen und zur Welt insgesamt wie auch zu Gott zu kommen. Ein Ort, an dem die wachsende Sehnsucht vieler Menschen nach schlichtem Dasein, nach Einfachheit und Tiefe, nach Spiritualität Heimat findet.

In der Stille gibt es keine Fragen aber die Stille ermöglicht es auf Vieles eine Antwort zu finden. In dem wir ruhig werden, hören und spüren, finden wir inneren Frieden, werden klar und fokussiert.
Danke liebe Stille, ich komme dich bald wieder besuchen.

Gabriella Erber